Ärztlicher Behandlungsfehler (Kunstfehler): Handlungsmöglichkeiten und rechtliche Aspekte

Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlugnsfehler – Schadensersatz – Schmerzensgeld.

Ein ärztlicher Kunstfehler bezeichnet einen Verstoß eines Arztes gegen den allgemein anerkannten medizinischen Standard im Rahmen der Behandlung eines Patienten, der zu einem gesundheitlichen Schaden führt. Ein solcher Fehler kann schwerwiegende Folgen für den Patienten nach sich ziehen, wie chronische Schmerzen, langfristigen Pflegebedarf oder sogar den Tod. Der vorliegende Beitrag untersucht die relevanten rechtlichen Schritte und Handlungsmöglichkeiten für betroffene Patienten im Falle eines Verdachts auf einen ärztlichen Kunstfehler.

Definition des ärztlichen Kunstfehlers

Ein ärztlicher Kunstfehler liegt vor, wenn ein Mediziner im Verlauf einer medizinischen Behandlung gegen die anerkannten fachlichen Standards verstößt und dadurch ein Schaden für den Patienten entsteht. Dies kann in verschiedenen Phasen der Behandlung geschehen und umfasst unter anderem:

  • Diagnosefehler: Fehldiagnosen, die zu einer falschen Behandlung führen und gesundheitliche Schäden verursachen.
  • Fehler in der Anamnese und Befunderhebung: Unzureichende oder fehlerhafte Erhebung von Patientendaten, die zu einer falschen Einschätzung der Gesundheitssituation führen.
  • Fehler bei der Aufklärung: Unzureichende oder fehlende Aufklärung über Risiken und Alternativen einer Behandlung.
  • Therapiefehler: Fehler in der Verordnung oder Durchführung von Behandlungen und medizinischen Interventionen, einschließlich der Anwendung fehlerhafter Medikamente oder falscher Dosierungen.
  • Hygienefehler: Mängel in der hygienischen Versorgung, die zu nosokomialen Infektionen führen können.
  • Operationsfehler: Fehler während chirurgischer Eingriffe, etwa durch falsche Vorgehensweise oder technische Mängel.

Ein Kunstfehler kann in jeder Phase der Behandlung auftreten – von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Nachsorge – und führt oft zu schwerwiegenden, langfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für den Patienten.

Der grobe Behandlungsfehler

Ein besonders schwerwiegender Fall ist der grobe Behandlungsfehler. Dieser liegt vor, wenn ein Arzt in einer Weise handelt, die als unentschuldbar oder völlig unangemessen angesehen wird. Der grobe Behandlungsfehler unterscheidet sich vom „normalen“ Behandlungsfehler durch die Schwere des Verstoßes gegen den ärztlichen Standard. Hierbei handelt es sich um Fehler, die auch im Rahmen einer gesund verstandenen Fehlerkultur nicht tolerierbar sind und die nicht nur auf unzureichender Sachkenntnis oder Fahrlässigkeit beruhen, sondern in einem besonders hohen Maße auf mangelnder Sorgfalt, Unachtsamkeit oder gar grober Fahrlässigkeit.

Im Falle eines groben Behandlungsfehlers wird die Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 5 BGB relevant. Normalerweise muss der Patient nachweisen, dass der Arzt die Sorgfaltspflicht verletzt hat und dass dieser Fehler die Ursache für den Schaden war. Bei einem groben Behandlungsfehler jedoch kehrt sich die Beweislast um: Es obliegt nun dem Arzt, zu beweisen, dass der entstandene Schaden nicht auch nur mitursächlich durch den Fehler verursacht wurde. Diese Regelung erleichtert es dem Patienten, den Fehler nachzuweisen und Schadenersatzansprüche geltend zu machen.

Rechte der Patienten nach einem Kunstfehler

Im Falle eines vermuteten Kunstfehlers haben betroffene Patienten nach deutschem Recht mehrere Rechte, die ihnen die Möglichkeit zur rechtlichen und medizinischen Klärung ihrer Ansprüche bieten:

  1. Recht auf Akteneinsicht: Patienten haben nach § 630g BGB das Recht, Einsicht in ihre Patientenakte zu nehmen. Ärzte sind grundsätzlich verpflichtet, diese auf Anfrage zur Verfügung zu stellen, außer in speziellen, gesetzlich festgelegten Ausnahmesituationen. Die erste Kopie der Behandlungsunterlagen ist für den Patienten kostenfrei.
  2. Beratung und Gutachten: Patienten können sich bei Verdacht auf einen Kunstfehler an Institutionen wie die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) oder die Gutachterkommissionen der Ärztekammern wenden. Diese Stellen bieten sowohl rechtliche als auch medizinische Beratung und Unterstützung. Zudem können Patienten im Verdachtsfall ein medizinisches Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MD) anfordern.
  3. Einholung einer Zweitmeinung: Eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung kann helfen, den Verdacht auf einen Kunstfehler zu bestätigen oder zu entkräften und stellt somit ein wichtiges Instrument zur Beweissicherung dar.

Vorgehensweise bei Verdacht auf einen Kunstfehler

Falls ein Kunstfehler vermutet wird, sollten Patienten folgende Schritte in Betracht ziehen:

  1. Beweissicherung: Zunächst sollte die Patientenakte angefordert und sämtliche relevanten Informationen gesichert werden. Hierzu gehört auch die Dokumentation des gesamten Behandlungsverlaufs, idealerweise in Form eines Behandlungstagebuchs oder eines Gedächtnisprotokolls, das alle Termine, Diagnosen und Behandlungsschritte festhält.
  2. Zweitmeinung einholen: Es empfiehlt sich, eine Zweitmeinung eines unabhängigen Arztes einzuholen. Diese kann bei der Beweissicherung und der späteren gerichtlichen Auseinandersetzung von Bedeutung sein.
  3. Juristische Beratung: Eine frühzeitige Konsultation eines Fachanwalts für Medizinrecht ist ratsam. Dieser kann die Beweislage rechtlich bewerten, die Erfolgsaussichten einer Klage einschätzen und den Patienten im Falle eines Rechtsstreits vor Gericht vertreten.

Schadensersatzanspruch und Schmerzensgeld

Ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld kann entstehen, wenn durch den Behandlungsfehler ein objektiv feststellbarer gesundheitlicher Schaden eingetreten ist. Um diesen Anspruch geltend zu machen, muss aber auch die Verjährungsfrist von drei Jahren nach Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen beachtet werden (gemäß §§ 195, 199 BGB).

Die Höhe des Schmerzensgeldes wird nach der Schwere des eingetretenen Schadens bemessen und kann in schwerwiegenden Fällen sechsstellige Beträge erreichen. Als Orientierung dienen beispielsweise folgende Urteile:

  • Das Landgericht Limburg hat mit Urteil vom 28.06.2021 (LG Limburg, Urteil vom 28. Juni 2021 – 1 O 45/15 –, juris) dem zum Zeitpunkt der Schädigung einjährigem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000.000,00 Euro zugesprochen.
  • Mit Entscheidung vom 18.03.2015 (20 U 3360/14, juris) hat das OLG München bei Annahme einer 25% Mithaftung des Geschädigtem einem 16-Jährigen im Fall einer Querschnittslähmung einen Kapitalbetrag von indexiert gerundet 400.000,00 Euro und einer monatlichen Rente von (nicht indexiert) 500 Euro zukommen lassen. Bei Herausrechnung des Mitverschuldens und Hochrechnung der Renten bis zum statistischen Lebensalter und Abzinsung, errechnet sich ein Gesamtkapitalbetrag i.H.v. 740.000,00 Euro.
  • Das OLG Koblenz hat im Fall einer Querschnittslähmung einer 6-Jährigen geschädigten einen Kapitalbetrag von indexiert ca. 500.000,00 Euro und einer monatlichen Rente von 375 Euro zugesprochen (OLG Koblenz vom 29.11.1995, 12 W 461/95 in Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 38. Auflage 2020, Nr. 38.2021).
  • Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 11.11.2016 (26 U 111/15 in Hacks/ Wellner/ Häcker a.a.O., Nr. 38.2001) einer 48-Jährigen im Fall einer hohen Querschnittslähmung einen Betrag i.H.v. 420.000,00 Euro zugesprochen
  • Auch das LG Dortmund hat mit seiner Entscheidung vom 21.12.2005 (21O 370/04) einer 20-Jährigen im Fall einer „nur“ großflächigen Vernarbung bei 60%iger Mithaftung einen Betrag i.H.v. indexiert 120.000,00 Euro zugesprochen
  • Bekannt ist die Entscheidung des OLG Oldenburg, welches mit seinem Urteil vom 18.03.2020 (5 U 196/18) dem im Alter von 5 Jahren geschädigten Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000,00 Euro zugesprochen hat.

Kostenübernahme im Rechtsstreit

Die Kosten für einen Rechtsstreit werden in der Regel von der Rechtsschutzversicherung des Patienten getragen. Für Personen mit geringem Einkommen und ohne Rechtsschutzversicherung besteht die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Wird dieser Antrag vom Gericht genehmigt, kann das Kostenrisiko erheblich minimiert werden.. Alternativ können Patienten eine Prozesskostenfinanzierung in Anspruch nehmen.

Fazit

Ein ärztlicher Kunstfehler kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit eines Patienten haben. Im Falle eines vermuteten Kunstfehlers ist es entscheidend, systematisch Beweise zu sammeln, eine Zweitmeinung einzuholen und rechtliche Schritte in die Wege zu leiten. Die Unterstützung durch spezialisierte Anwälte für Medizinrecht sowie die Nutzung von Institutionen zur medizinischen und rechtlichen Beratung bieten Betroffenen eine wesentliche Grundlage, um ihre Ansprüche erfolgreich durchzusetzen.

Mit Klick auf den Button “Anfrage senden" stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.

Beitrag auf Social Media teilen:

Kostenlose Erstberatung

Mit Klick auf den Button “Anfrage senden" stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung zu.
Anwalt für Behandlungsfehler und Arztfehler

Sie sind Opfer eines Behandlungsfehlers? Ihre Versicherung zahlt nicht?

Wir helfen weiter und beraten Sie gerne. Schildern Sie uns jetzt über das Kontaktformular Ihren Fall und erhalten Sie Ihre kostenfreie Ersteinschätzung.

kostenlose bundesweite Erstberatung

Anwälte für Medizin- und Versicherungsrecht

erfahrene und kompetente Patientenanwälte

wir vertreten ausschließlich Patienten und Versicherungsnehmer

Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenlose Erstberatung erhalten

Unsere erfahrenen Fachanwälte für Medizinrecht helfen Ihnen schnell und zuverlässig. Schildern Sie uns jetzt Ihren Fall und erhalten Sie Ihre kostenlose Ersteinschätzung.

Erfahrungen & Bewertungen zu Patientenanwalt Rechtsanwälte Friese und Adelung Partnerschaft mbB