180.000,00 Euro Schmerzensgeld und Feststellung, dass die Beklagte für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft einzustehen hat – Urteil LG Nürnberg (4 O 1477/20) –
Medizinrecht – Arzthaftung – grobe Behandlungsfehler – Schmerzensgeld
Netzhautablösung führt zu fast vollständiger Erblindung
Die minderjährige Klägerin wurde als zweiter Zwilling in der 23 + 3 SSW im Hause der Beklagten mit einem Geburtsgewicht von 500 Gramm geboren. Anschließend wurde sie auf der Kinderintensivstation aufgenommen.
Bei der Klägerin lag u.a. eine Frühgeborenen-Retinopathie Sadium 2 beidseits in Zone II mit plus disease vor (im Nachfolgenden: ROP)
Es folgte einer Laserung der Augen mit 190 Herden auf dem rechten Auge und mit 180 Herden auf dem linken Auge. Bei der in der Folgezeit durchgeführten augenärztlichen Kontrolle lag eine ROP des Stadiums 2 mit Pluserkrankung in Zone II vor. Bei der nächsten augenärztlichen Kontrolle wurde eine ROP des Stadiums 2-3 mit Pluserkrankung festgestellt. Schließlich wurde eine ROP des Stadiums 3-4 mit Pluserkrankung und eine zweite Laserung mit jeweils 550 Herden pro Auge durchgeführt.
Schließlich stellten die behandelnden Ärzte der Beklagten eine Netzhautablösung beidseits mit Glaskörperblutung fest. Eine weitere augenärztliche Kontrolle auf dem rechten Auge ergab eine ROP des Stadiums 4a und auf dem linken Auge eine ROP des Stadiums 4b. Daraufhin wurde im Rahmen einer Operation eine Cerclage an beiden Augen vorgenommen.
Die Klägerin erlitt eine schwere ROP, eine beidseitige Netzhautablösung und ist fast vollständig beidseits erblindet.
Der Beklagten wurde u.a. vorgeworfen, dass die augenärztlichen Kontrollen und Behandlungen nicht lege artis erfolgt sind.
Die gerichtlich bestellten Sachverständigen haben gleich mehrere (insgesamt 4!) grobe Behandlugnsfehler bestätigt:
- Die erste Laserung erfolgte grob fehlerhaft. Es wurden zu geringe Laserherde appliziert.
- Die zweite Laserbehandlung ist grob behandlungsfehlerhaft verspätet erfolgt.
- Die nach der zweiten Laserung durchgeführte augenärztliche Untersuchung erfolgte verspätet. Sie hätte allerspätestens eine Woche nach der Laserung erfolgen müssen. Tatsächlich erfolgte sie rund 2,5 Wochen nach der zweiten Laserung. Auch das stellt einen groben Behandlugnsfehler dar.
- Ebenfalls grob fehlerhaft war es die festgestellte Netzhautablösung nicht zeitnah, d.h. innerhalb von 3 Tagen, zu behandeln.
Ferner stellten die Sachverständigen fest, dass die Klägerin bei einer Behandlung dem medizinischen Standard entsprechend mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (Wahrscheinlichkeit von 90%) nicht erblindet wäre.
Anmerkung:
Ein grober Befunderhebungsfehler führt zu einer Umkehr der Beweislast. Vorliegend wäre es an den Beklagten gelegen nachzuweisen, dass die Primärschädigung der Klägerin im Sinne einer fast vollständigen Erblindung nicht auch nur mitursächlich auf die Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Diesen Nachweis konnte die Beklagte nicht erbringen.
Aufgrund des Urteils muss die Beklagte nicht nur ein Schmerzensgeld in Höhe von 180.000,00 Euro zahlen sondern der Klägerin auch alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden (vermehrte Bedürfnisse, Haushaltsführungsschaden, Pflegeschaden, Erwerbsschaden) ersetzen, die der Klägerin durch den Behandlugnsfehler entstanden sind oder in Zukunft noch entstehen werden.
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