82.333,85 Euro Vergleichssumme für unsere Mandantin bei nicht indizierter Teilmagenresektion, Landgericht München I, 9 O 15955/21
Medizinrecht – Arzthaftung – unterlassene Befunderhebung – Schmerzensgeld
Unsere Mandantin stellte sich am 30.12.2017 in der visceralchirurgischen Sprechstunde der Beklagten zu 1) bei dem Beklagten zu 2) mit Verdacht auf Atemwegsinfekt bei Nikotinabusus vor.
Im Rahmen dieser Vorstellung zeigte sich bereits eine starke Gewichtsabnahme unserer Mandantin. Sie wog nur noch 40 kg . Es war ein Konsil mit den internistischen Kollegen des IKMS zur Besprechung der ausgeprägten Leukozytose und des unklaren Gewichtsverlust vorgesehen. Dieses Konsil fand jedoch nicht statt.
Es wurde eine antimykotische Therapie mit Nystatin begonnen und ein Termin für eine Magen-Darm-Spiegelung vereinbart.
Am 03.01.2018 fand sich unsere Mandantin sodann erneut zur Untersuchung im Hause der Beklagten ein. Es ließ sich auf Höhe des ösophagogastralen Übergangs eine Einengung vorfinden. Es erfolgte eine Bougierung auf 15 mm.
Am 15.01.2018 wurde im Hause der Beklagten folgende Diagnose gestell:
„Slippage und Translokation der Fundoplicatio (anamnestisch Floppy-Nissen) ins hintere Mediastinum mit Dysphagie, Inappetenz und signifikanter Gewichtsabnahme, Axiale Hiatushernie“
Zunächst wurde eine endoskopische Dilatation bei Stenose des gastroösophagealen Überganges durchgeführt. Bei postinterventioneller Beschwerdepersistenz wurde eine erweiterte Diagnostik eingeleitet. Dabei zeigte sich eine in das hintere Mediastinum gerutschte Fundoplicatio mit erheblicher prästenotischer Dilatation des Ösophagus.
Aufgrund dessen wurde unsere Mandantin am 09.04.2018 stationär im Hause der Beklagten aufgenommen.
Am 10.04.2018 wurde durch den Beklagten zu 2) folgender operativer Eingriff durchgeführt: „Laparoskopische Reposition, Auflösung der Fundoplikatio und komplette Narbenresektion, Rekonstruktion des His’schen Winkels, Magenschlauchbildung (Fundus- und Korpus-Resektion), hintere Hiatusplastik mit Netz (DynaMesh Hiatus visible 12×7 cm)“.
Insgesamt gestaltete sich die Operation als sehr schwierig.
Bereits am ersten Postoperativen Tag, dem 11.4.2018, klagte unsere Mandantin darüber dass sie starke Bauchschmerzen und keinen Stuhlgang hat. Daraufhin wurden ihr – ohne weitere Untersuchungen vorzunehmen – Abführmittel verabreicht.
Postoperativ musste unsere Mandantin intubiert und zunächst beatmet auf die Intensivstation verlegt werden. Bereits am 12.04.2018 klagte sie unter abdominellen Schmerzen. Ein Gastrografin-Schluck am 12.04.2018 zur Darstellung des gastroösophgealen Überganges wurde als unauffällig befundet. Weitere Untersuchungen erfolgten nicht, obwohl unsere Mandantin unter staken abdominellen Schmerzen litt.
Im weiteren Verlauf litt unsere Mandantin unter extremen Schmerzen und wurde zunehmend delirant mit beginnenden Zeichen einer Sepsis. Die Antibiotikatherapie wurde eskaliert. Unsere Mandantin wurde ins künstliche Koma versetzt.
Erst am Morgen des 14.04.2018 wurde eine CT-Untersuchung gemacht. Im Rahmen dieser Aufnahmen des Thorax zeigte sich freie Flüssigkeit sowie freie Luft im Abdomen. Daraufhin wurde die Indikation zur sofortigen Revisionslaparotomie gestellt und von dem Beklagten zu 2) durchgeführt. Dabei zeigte sich eine Nahtinsuffizienz am Schlauchmagen mit einer 4-Quadrantenperitonitis. Die Leckage wurde übernäht und eine Stent-Prothese in den Ösophagus eingebracht.
Am 19.04.2018 kam es zu einem Platzbauch und einer Wundinfektion. Bei der sodann durchgeführten Re-Laparotomie lag eine fortgeschrittene Nahtdehiszenz mit am proximalen Magen mit lokaler Peritonitis vor. Es wurde eine Naht am Magenschlauch vorgenommen, eine Omentumplastik ausgeführt, ein Vakuumverband angelegt und bei Pleuralerguss eine linksseitige Thoraxdrainage platziert. In der Folge blieben die Infektparameter hoch und das Sekret aus den liegenden Drainagen zeigte sich auffällig.
Bei einer am 23.04.2018 erneut durchgeführten Re-Laparotomie lag eine fortgeschrittene Nahtdehiszens mit großem Gewebedefekt über dem Stentam gastroösophagealen Übergang vor. Es erfolgte eine proximale Magenresektion mit distalem Blindverschluss des Restmagens und Herstellung der Kontinuität mittels einer intrathorakal gelegenen Ösophagojejunostomie.
Am 24.04.2018 erfolgte die Einlage einer tief gelegten Ernährungssonde unter endoskopischer Kontrolle in das Jejunum.
Am 30.04.2018 wurde die Anlage einer Thoraxdrainage links wegen Zunahme des Serothorax und Verschlechterung der Respiration vorgenommen.
Am 03.05.2018 erfolgte die Anlage einer dilatativen Tracheotomie.
Nach erneutem Anstieg der Infektparameter und Auftreten von Fieber über 39° C wurde am 16.05 2018 ein CT Thorax und Abdomen mit K.M. durchgeführt. Dabei wurde ein Pleuraempyem und eine bronchopleurale bzw. ösophagopleurale Fistel festgestellt. Es erfolgte eine posterolaterale Thorakotomie links mit kompletter Pleurolyse und partieller Pleurektomie sowie die Neuanlage eines Jejunalkatheters. Die Anastomose wurde endoskopisch kontrolliert und ein Stent eingelegt
Am 17.05.2018 wurde mit der enteralen Ernährung über die Jejunalsonde begonnen. Nach Umstellung der antibiotischen Therapie kam es zum Abfall der hohen Infektparameter. Der orale Kostaufbau gestaltete sich schwierig und es kam zwischenzeitlich zum Erbrechen.
Am 03.06.2918 konnte unsere Mandantin schließlich nach erfolgreicher Entwöhnung von der Beatmung dekanüliert und zunehmend mobilisiert werden.
Am 05.06.2018 wurde unsere Madnantin auf die Normalstation zurückverlegt und mit einer Sprachtherapie begonnen werden.
Am 15.06.2018 wurde unsere Madnantin aus der stationären Behandlung der Beklagten entlassen.
Unsere Mandantin befindet sich bis heute in ärztlicher Behandlung. Ihr alltägliches Leben ist komplett eingeschränkt. Sie kann sich nicht mehr fortbewegen, hat stark an Gewicht verloren und die Essensaufnahme ist kaum möglich. Den Tag kann sie nur mit starken Schmerzmitteln und Antidepressiva überstehen.
Die langen Krankenhausaufenthalte und die dadurch entstandenen Beschwerden wirken sich auf sämtliche Lebensbereiche unserer Mandantin aus. Die Situation ist nicht nur für sie selbst kaum ertragbar, sondern bringt auch Konsequenzen für ihre gesamte Familie mit sich. Ihren Beruf als selbstständige Marktkauffrau kann sie nicht mehr ausüben. Der GdB beträgt 100, mit den Merkzeichen G, aG. Seit dem 01.03.2019 hat sie den Pflegegrad 1.
Die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherung hat die Haftung dem Grunde nach außergerichtlich abgelehnt, weshalb eine Klage beim Landgericht München I eingereicht wurde.
Das Landgericht München hat ein fachmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.
Der Sachverständige führte in einem schriftlichen Gutachten aus, dass anlässlich der Behandlung durch die Beklagten mehrere – teils grobe- Behandlungsfehler unterlaufen sind.
Der Sachverständige ordnete es als grob fehlerhaft ein, dass bei der Operation vom 10.04.2018 eine Magenresektion durchgeführt wurde. Eine Indikation hierfür habe nicht vorgelegen.
Weiter hätte am 12.04.2018 und am 13.04.2018 eine Untersuchung des Abdomens unserer Mandantin erfolgen müssen, die nicht dokumentiert sei.
Als Primärschaden ist die entstandene Nahtinsuffizienz und der Folge die Peritonitis zu sehen.
Das Gutachten hat sich vorliegend zwar zu der Frage verhalten, ob die Anlage des Magenschlauches als grob fehlerhaft zu werten ist, jedoch nicht dazu, ob dies auch für die fehlende abdominelle Untersuchung gelte.
Auf Vorschlag des Gerichts haben die Parteien sodann einen Gesamtabgeltungsvergleich in Höhe von 82.333,85 Euro geeinigt.
Anmerkung:
Grundsätzlich trägt der Patient die Beweislast nicht nur für das Vorliegen eines Behandlugnsfehler, sondern auch dafür, dass dieser Fehler zu einem Gesundheitsschaden (sog. Primärschaden) geführt hat, der seinerseits wiederum für die weiteren Folgen (Sekundärschäden) mitursächlich geworden ist.
Allerdings können bei Ansprüchen von Patienten gegenüber Ärzten Beweiserleichterungen zugutekommen, namentlich im Falle einer unterlassenen Befunderhebung und bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers.