Rettungsdienstleitstelle mangels Entsendung NAW zu 350.000 Euro Schadensersatz verurteilt

Der Träger einer Rettungsdienstleitstelle wurde vom Landgericht Berlin zu ca. 350.000 Euro Schadensersatz verurteilt. Die Berufung gegen das Urteil wurde vom Kammergericht Berlin zurückgewiesen. Die Rettungsdienstleitstelle haftet aufgrund eines groben Behandlungsfehlers:

Im Alarmprotokoll der Leitstelle wurden „Atembeschwerden, Asthmapatient“, „Abnorme Atmung (Asthma)“ vermerkt. Das Gericht hingegen folgte den Zeugenaussagen, wonach das telefonische Alarmierungsstichwort „Atemnot“ war.

Laut den Ausführungen des Sachverständigen gilt ausgeprägte Atemnot als Leitsymptom eines Asthmaanfalls. Ob dies vom Anrufer als Atembeschwerden oder Atemnot bezeichnet wird, ist völlig unerheblich. Medizinische, für einen Laien kryptische, Begriffe können von einem Anrufer nicht sachgerecht berichtet werden. Betätigt ein Dritter den Notruf, begründet bereits dies den dringenden Verdacht darauf, dass dem Patienten selbst eine Notfallmeldung nicht mehr möglich ist. Atemstörungen implizieren bei einem Asthmapatienten einen lebensbedrohlichen Zustand. Erst recht muss dies für Atembeschwerden oder gar Atemnot gelten. Ein Notarztwagen ist bei bekannter Asthmaanamnese bereits bei der Angabe von Atembeschwerden zu entsenden. Die NAW-Indikation darf sich nicht aus der Klassifizierung in ein bestimmtes Schema ergeben. Sie hat stets auf den geschilderten Symptomen zu beruhen. Die Leitstelle kann sich nicht darauf berufen, dass der NAW nur bei Code „D“ zu entsenden gewesen wäre, vorliegend lediglich Code „C“ gegeben war. Maßgebend ist insofern der von der Bundesärztekammer entwickelte, bundesweit geltende Standard. Dabei kommt es allein auf Art und Ausmaß der Symptome an.

Weshalb im vorliegenden Fall kein NAW zum Einsatz kam, erscheint nach Ansicht des Gerichts gänzlich und völlig unverständlich. Die Leitstelle habe nicht berücksichtigt, dass sich der Patient in einem lebensbedrohlichen Zustand befand und nicht nur die Hilfe von „mit der Behandlung per se überforderten Rettungssanitätern“, sondern vornehmlich die Unterstützung eines Arztes benötigte. Ein solcher Fehler habe der Leitstelle in keinem Fall unterlaufen dürfen.

Die Beklagte haftet dem Grunde nach für diejenigen Gesundheitsschäden des Patienten, welche dieser dadurch erlitt, dass er nicht bereits früher als geschehen notärztlich behandelt wurde. Die Grundsätze derBeweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers sind auch auf den gegebenen Fall anwendbar. Die Beweislastumkehr gilt demnach auch für grob fehlerhaftes Verhalten von nicht-ärztlichem Hilfspersonal.

Die Beklagte hätte demnach beweisen müssen, dass dem Patienten durch die verzögerte ärztliche Behandlung kein Schaden entstand. Dieser Gegenbeweis ist im Allgemeinen schwierig bis gar unmöglich zu führen. Der Sachverständige konnte nicht ausschließen, dass dem Patienten die Gesundheitsschäden nicht entstanden wären, wenn die Notärztin gleichzeitig mit dem RTW vor Ort eingetroffen wäre. Diese traf erst 10 Minuten später ein, nachdem sie durch die RTW-Besetzung nachalarmiert wurde.

Der Patient verstarb im Laufe des Prozesses. Die Kranken- sowie die Pflegeversicherung klagten auf Schadensersatz – sie erhielten ca. 350.000 Euro vom Träger der Leitstelle.

Exkurs Notfallsanitäter:

Der Vorfall ereignete sich im Jahr 2007. Zu dieser Zeit zählten sog. Notfallsanitäter noch nicht zur RTW-Besetzung. Notfallsanitäter stellen die höchste nichtärztliche Qualifikation des Rettungsdienstpersonals dar. Im Rahmen der Notfallrettung ist der Notfallsanitäter maßgeblich verantwortlich für die präklinische Versorgung einer verletzten oder erkrankten Person.Fraglich erscheint demnach, ob die Entscheidung bei Besetzung des RTW mit einem Notfallsanitäter anders ausgefallen wäre. Dies ist u. E. zu verneinen, da das Gericht lediglich zwischen ärztlichem und nichtärztlichem Personal differenziert. Einzelne rettungsdienstliche Ausbildungen werden nicht unterschieden.

KG Berlin, Beschluss vom 20.03.2017, 20 U 147/16, KG Berlin, Beschluss vom 19.06.2017, 20 U 147/16

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