Landgerichte steigern Schmerzensgeldhöchstbeträge für schwerstgeschädigte Patienten deutlich

Background

Im Jahr 2001 sprach ein deutsches Gericht einem Kläger erstmals ein Schmerzensgeld von 500.000,- Euro zu. Seitdem wurde dieser Betrag als eine Art Schmerzensgeld Obergrenze angesehen, höhere Beträge konnten nur in seltenen Einzelfällen durch zusätzliche Schmerzensgeld Renten erzielt werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH existiert eine solche Obergrenze jedoch gerade nicht: Die Gerichte dürfen Schmerzensgeld Beträge, die in Vergleichsentscheidungen zugesprochen wurden, überschreiten, solange dies nur eingehend begründet wird.

Vereinzelt wurden daraufhin auch Schmerzensgeld Beträge bis zu 700.000,- Euro zugesprochen. Mit Urteil vom 23.11.2018 sprach das LG Aurich einem schwerstgeschädigtem fünfjährigen Kind ein Schmerzensgeld von 800.000,- Euro zu. Das LG Gießen hat jüngst mit seinem Urteil vom 06.11.2019 nachgezogen und einem 17-jährigen nach einem Behandlungsfehler ebenfalls 800.000,- Euro zugesprochen.

LG Gießen spricht hohes Schmerzensgeld zu

Dem Urteil des LG Gießen liegt ein Behandlungsfehler unter dem Gesichtspunkt eines vollbeherrschbaren Risikos zugrunde.

Der 17-jährige Kläger hatte sich im Rahmen eines Fußballspiels eine Nasenbeinfraktur zugezogen. Diese wurde im Hause der Beklagten operativ versorgt. Da die Schläuche am Beatmungsgerät, das während der Operation in Vollnarkose eingesetzt wurde, falsch angeschlossen waren, kam es zu einer rund 25-minütigen Sauerstoffunterversorgung des Klägers, die zu einer schweren hypoxischen Hirnschädigung führte. Seither leidet der Kläger an einem apallischen Syndrom, einer spastischen Tetraparese, einer posthypoxischen Epilepsie, einer chronischen Gastroparese sowie zahlreichen weiteren schwersten körperlichen Dauerschäden.

Das LG Gießen hat schmerzensgelderhöhend insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Schädigung noch sehr jung war und noch eine hohe Lebenserwartung hatte sowie die Schwere der Schädigungen, die dazu führen, dass der Kläger rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen  und zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr in der Lage ist.

Weiterhin maß das Gericht dem Grad des Verschuldens der Beklagten besondere Bedeutung bei: Die Funktionsfähigkeit des Beatmungsgerätes sowie dessen ordnungsgemäßer Anschluss ist Teil der voll beherrschbaren Nebenpflichten der Beklagten, sodass die Schädigung des Klägers objektiv voll hätte ausgeschlossen werden können und müssen. Das Gericht berücksichtigt zudem den Zeitablauf seit Ergehen von Vergleichsentscheidungen und die damit einhergehende Veränderung der wirtschaftlichen Situation, da in der aktuellen Niedrigzinsphase kaum mehr Zinserträge aus dem Schmerzensgeldkapital realisiert werden können.

Auch wenn in ähnlich gelagerten Fällen nur Schmerzensgelder in Höhe von 500.000,- Euro zugesprochen wurden, hält das LG Gießen aus diesen Gründen ein Schmerzensgeld von 800.000,- Euro für angemessen.

LG Gießen, Urteil vom 06.11.2019 – 5 O 376/18

LG Aurich, Urteil vom 23.11.2018 – 2 O 165/12

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